diese Strategie dergewaltsamen
Provokation neue Höhepunkte.
Drei Häuser am Frocnkclufcr
wurden mit der Dampframme
aufgebrochen und geräumt. Die
Besetzer wurden an den Haaren
herausgezogen
Am vergangenen Freitag dann
veranstaltete die Staatsanwalt¬
schaft boi dor Durchsuchung
von fünf besetzten Häusern in
Kreuzberg eine Demonstration
der Staatsgewalt, die an Bürger¬
krieg erinnern mußte. 1000 Poli¬
zisten wurden eingesetzt, ein
ganzer Stadtteil stand praktisch
unter Ausnahmezustand. Insge¬
samt 155 Personen wurden an
diesem Tag festegenommen,
darunter der gesamte Besetzer¬
rat von Vertretern aller besetzten
Häuser. Gegen sie wird nun
wegen der Bildung einer krimi-
nollon Vereinigung ormittolt
(§129). . , ,
Insgesamt sind im Zusammen¬
hang mit den Instandbesetzun¬
gen mehr als 400 Verfahren
eingeleitet worden. Uber 20
Leute sitzen in Haft. Es wurden
drakonische Urteile gegen Ein¬
zelne gefällt.
Die Besetzer fühlen sich zu recht
bedroht und betrogen. Ihre
Hauptforderung, die Gefange¬
nen freizulassen und die Verfah¬
ren einzustellen, wurden bisher
von den Politikern nicht einmal
zur Kenntnis genommen, ge¬
schweige denn erfüllt.
Ir dieser Situation ist es nurallzu
verständlich, daß für die Beset¬
zer Verhandlungen mit dem
Senat über die Legalisierung
einzelner Häuser nicht in Frage
kommen. Der Senat muß sich
politisch zu den Forderungen
der Besetzer verhalten. Eine
friedliche und politische Lösung
wird wohl nur zustande kom¬
men. wenn es für ihn aussichts¬
los erscheint, die Instandbeset¬
zer als kriminelle Elemente
auszugrenzen und das Problem
polizeilich, d.h. gewaltsam zu
lösen Dazu sind die Instandbe¬
setzer auf die Unterstützung die¬
ser Öffentlichkeit angewiesen.
BERLIN¬
EXPRESS
Samstag, den 11. April 1981
Herausgeber: Berliner Mieterverein. Spichernstr.12.1000 Berlin 30
Für eine wirkliche
Wende in der
Wohnungspolitik!
Solidarität mit den
Instandbesetzern!
Wie im Krieg
Ruinen und Trümmer, verfallene Häuser, im Schutt
suchen Menschen nach brauchbaren Resten. Ein
alltägliches Bild in Kreuzberg, im Wedding und in
anderen Sanierungsgebieten. Viele Straßenzüge
hier erinnern an die Zeit nach dem Kriege. Dieser
Krieg wird von Politikern, Spekulanten und Woh¬
nungsbaugesellschaften geführt, hierin Berlin, mit¬
ten im Frieden.
„Wie im Krieg“, äußerten auch Sanierungsbetrof¬
fene, die im Aufträge des Senats von Berlin über ihre
Erfahrungen befragt wurden.
Und wer am vergangenen Montag zwischen dem
Moritzplatz und dem Oranienplatz das Heerlager von
1000 Polizisten sah, die aufgeboten wurden, um ein
besetztes Haus in der Luckauer Straße zu durchsu¬
chen und alle, die sie dort fanden festzunehmen, der
dachte auch: „Wie im Krieg!"
weiter: Verunsicherung. Umset-
Diesen „Krieg" führen Woh¬
nungsspekulanten. Politiker und
Wohnungsbaugesellschaften
bereits seit Jahren.
Gegen Mieter
Die Kahlschlagsanierung der
vergangenen Jahre hat das Bild
dieser Stadt nachhaltiger verän¬
dert als die Schaden des letzten
Weltkriegs. Ganze Häuserzeilen
wurden abgerissen und durch
„Wohnmaschienen" aus Beton
ersetzt, die ehemaligen Mieter
leben heute vereinzelt, entwur¬
zelt und zu doppelten Mieten in
anonymen Neubauten. Die gros¬
se Mehrheit von ihnen würde lie¬
ber wieder in Altbauwohnungen
wohnen. Aber die sind abgeris¬
sen. Der ..Kahlschlag" wurde
zwar mittlerweile eingeschränkt
Die Politiker reden jetzt gerne
von „behutsamer Stadterneue-
zung. unzumutbare Wohnver¬
hältnisse in halbentmieteten
Häusern, skrupellose Entmie-
tung Die Eigentümer lassen ihre
Häuser bewußt verrotten, um
nachher höhere Subventionen
für ihre Reparatur zu kassieren
oder den Abriß und lukrativen
Neubau durchzusetzen.Und
nicht zuletzt: Eine riesige Zahl
von leerstehenden Hausern,
während Tausende nach einer
Wohnung suchen.
Was die Mieter selber wollen,
danach werden sie noch immer
nicht gefragt. Planer setzen
ihnen ihre Modelle vor und stel¬
len sie vor vollendete Tatsachen
Die Betroffenenbeteiligung ist
nichts als ein schönes Wort
geblieben. Möglichst teure und
aufwendige Modernisierungs-
maßnahmen bringen den Eigen¬
tümern die höchsten Subventio-
gleichzeitig die Mieten ins Astro-
tiga
nomische. Die staatlichen Förde¬
rungen fördern vor allem die
Spekulation. Die Bürger müssen
es dopoclt bezahlen, mit ihren
Steuern und dann mit ihren Mie¬
ten.
Seit Jahren wehren sich Mieter¬
initiativen und -Organisationen
egen diese Politik und machen
orschlage für eine an den Inter-
esson der Betroffenen orientierte
und billigere Wohnungspolitik.
Auch die Verantwortlichen spre¬
chen heute von einer verfehlten
Wohnungspolitik. Doch zu tat¬
sächlichen Veränderungen las¬
sen sie sich nicht hinreissen
Anläßlich der Neuwahlen wer¬
den lediglich kosmetische Ma߬
nahmen angeboten.
Doch was wir brauchen ist eine
grundsätzliche Veränderung,
eine wirkliche Wende in der Woh-
nungspölitik. Und wir werden sie
nnmomcom orroifhoo
9 v'
... und gegen Hausbesetzer
Die Fakten sind bekannt: 80.000
Wohnungssuchende, 800 leer¬
stehende Häuser. 135 Häuser
wurden in den vergangenen
Monaten instandbesetzt von
Wohnungssuchenden, vorallem
jungen Leuten. Sie wollen die
leerstehenden Hauser ihren
Bedürfnissen entsprechend re¬
parieren und dort nach ihren
eigenen Vorstellungen Zusam¬
menleben. Schon jetzt beweisen
die Instandbesetzer, daß In¬
standsetzung und Modernisie¬
rung auch sehr viel billigerund in
direkter Abstimmung mit den
Erfordernissen der Bewohner
von diesen in eigener Regie zu
bewerkstelligen sind.
Der Senat und die Wohnungs¬
baugesellschaften, die von den
Besetzern mit ihrer praktischen
Form von Protest aul offensicht¬
liche Versäumnisse und Fehler
gestoßen wurden, reagierten
zunächst hilflos. Sie gestanden
Fehler ein und selbst der CDU-
Kandidat Weizsäcker erkannte,
daß es sinnlos sei.Häuserzu rau¬
men solange sie weiterhin
leerstehen.
Doch anstatt konstruktiv auf die
Kritik und das Engagement der
Besetzer zu reagieren, hielten sie
die Besetzer, die eine Legalisie¬
rung ihrerWohnverhältnissefor-
derten hin und machten ihnen
Schwierigkeiten wosiekonnten.
Als dann kurz vor Weihnachten
unter dubiosen Umständen ein
kurz zuvor besetztes Haus
geräumt wurde, brach sich die
Wut und Enttäuschung der
Besetzer und ihrer Freunde
Bahn. Die Presse und die Politi¬
ker hatten endlich was sie
brauchten: „Krawall, Chaoten.
Kriminelle!” Die Ursachen der
Misere konnten in den Hinter¬
grund treten, zum Problem
wurde nun ..der Mob der Straße"
erklärt. Es wurde geprügelt und
verhaftet und gegen einzelne
wurden Urteile verhängt, die von
den Besetzern nur als Provoka¬
tion verstanden werden kon¬
tern
In den letzten Wochen erreichte
Instandsetzung statt Kriminalisierung!
Politische statt polizeiliche Lösungen!
So wird Wut und Haß
Wohin geht die
Wohnungspolitik
CDU will Berlin und seine Mieter indie Pleite
treiben
50.000 Neubauwohnungen ver- CDU keine Antwort. Die Repa-
spricht die CDU den Wählern raturrückstande wegen ver-
bis 1985. ohne sie allerdings zu nachlässigter Instandhaltung
tragen, ob sie überhaupt derar- belaufen sich für 150.000 Alt-
tig viele Neubauten haben wql- bauwohnungenaufca.4Milliar-
len. Wir wollen dem Wähler die den Mark, die sofort in die
Entscheidung einfacher ma- Altbauten, den wegen seiner
chen 50.000 Neubauwohnun- günstigen Mieten wirklich sozi-
S en kosteten nach heutigen alen Wohnungsbau, gesteckt
roison schon 12.5 Milliarden werden müßten. Man merkt
Mark. Bis 1985müßtensoindrei schnell, daß sich das nicht mit-
Jahren für jeweils vier Milliar- einander verträgt und wem die
den Mark Neubauten erstellt Vorschläge der CDU nutzen,
werden. Soviel Geld gibt es nie Bausenator Ullrich (SPD)
und nimmer Zudem würden die machte dagegen einen beson-
Belastungen der Haushalte ders mieterfreundlichen Vor-
durch die enormen, aber not- schlag: im „Sozialen“ Woh-
wendigen Mietensubventionen nungs bau soll die Ausstattung
ins Unermeßliche steigen Die der Wohnungen verringert wer-
Baupreise. die jetzt schon zu den. um so Geld zu sparen. Für
einer ..Kostenmiete“ von 25.- die schlechtere Ausstattung
DM pro Quadratmeter fuhren. mu ß der Mieter allerdings die
dürften explodieren, da soviel gleiche Miete zahlen wie bisher,
Baukapazitäten Berlin nicht zur Zeit sieben bis neun Mark
hat. Dafür würden sich aber die warm pro qm. Wonn das die
Baugesellschaften dumm und neue Wohnungspolitik der SPD
dämlich verdienen. Auf die ist. wird sich ihre Wählerschaft
Frage.wasindieserZeitausden wohl bald nach was wirklich
hunderttausenden Berliner Alt- Neuem umsehen.
bauwohnungen wird, gibt die
Weißer Kreis
durch die
Hintertür?
Sind politische Mietenbetrüger am Werk?
erzeugt
(1)Als Personen und Gruppen,
die wir uns seit Jahren in
Stadtteilinitiativen und
Botroffonenorganisationon für
eine bessere und sozialorien¬
tierte Stadterneuerungspolitik
einsetzen. sind wir von den
Massenfestnahmen und einem
bisher nicht da gewesenen
Polizeiaufmarsch zutiefst
betroffen und empört, da diese
Art der Demonstration der
Staatsgewalt unsere eigene
Arbeit gefährdet und zunichte
macht.
(2) Uns drangt sich mehr und
mehr die Überzeugung auf.
daß mit derartigen, massiven
Einschüchterungen und
Kriminalisierungen eine
friedliche Verhandlungslosung
für die besetzten Häuser nicht
nur unmöglich gemacht wird,
sondern fast nur noch als
wahltaktisches Täuschungs¬
manöver verstanden werden
kann.
(3) Wenn bürgerkriegsahnliche
Ausnahmezustände zur Regel
werden, in denen ganze
Stadtteile in militärischer Form
ganztägig abgeriegelt werden,
dann wird die in der jetzigen
Situation besonders notwendi¬
ge Glaubwürdigkeit des Senats
restlos zunichte gemacht. Statt
zerstörtes Vertrauen zurückzu¬
gewinnen, wird so Wut und
Erklärung von Kreuzberger Mieterinitiati¬
ven zu den Durchsuchungen in Kreuzberg
vom 7.4.81
Haß erzeugt. Bei den seit
Jahren durch die Sanierung
verunsicherten Bürgern
werden durch derartige
Einsätze Angst und Resignati¬
on verstärkt. Dieses Klima trifft
die Bereitschaft und den Mut
vieler Mieter, sich mit
Verfehlungen und Versäumnis¬
sen der offiziellen Politik
auseinanderzusetzen
(4) D i e Festnahme des
gesamten Besetzerrates und
weiterer Unterstutzer in der
Luckauer Straße läßt die bisher
betonte Verhältnismäßigkeit
der Mittel als Farce erscheinen
Der Aufwand stellt weder in
einem Verhältnis zum Anlaß
noch zum Ergebnis dieser
Durchsuchungen.
(5) Das übertriebene Vorgehen
der Staatsanwaltschaft und der
Polizei stehen für uns im
krassen Widerspruch und in
keinem Verhältnis zu den
Unterlassungen einer verspro¬
chenen Verbesserung der
Stadterneuerungspolitik. Statt
endlich eine wirkliche Wende
ernsthaft und unmittelbar
herbeizuführen, werden jene.
die Mißstände und Versäum¬
nisse anprangern. und die als
Verhandlungspartner angese¬
hen wurden, unter Zuhilfenah¬
me des § 129 (kriminelle
Vereinigung) kriminalisiert.
Dies richtet sien auch gegen
viele von uns, die Instandbeset¬
zungen unterstützt bzw.
mitinitiiert haben.
(6) Es besteht die Gefahr, daß
alle bisherigen Bemühungen
um eine politische Lösung und
die vorhandene Gesprächs¬
und Vermittlungsbereitschaft
einen Rückschlag erhalten und
nur noch Ablehnung und
Verweigerung übrig bleiben.
(7) Wir nehmen diese Ereignis¬
se und unsere einmütige
Ablehnung zum Anlaß, unsere
Zusammenarbeit als aktive
Gruppen in SO 36 zu
verstärken und unsere
Forderungen nach einer
wirksamen Veränderung der
Stadterneuerungspolitik und
weitergehender Beteiligung
von Betroffenen nachdrück¬
licher zu vertreten.
Berlin 36. den 8. April 1981
BÜRGERINITIATIVE SO 36
VEREIN SO 36
MIETERLADEN DRESDENER STRASSE
MIETERGRUPPE MARIANNENPLATZ-NORD
WOHNEN UND LEBEN e.V.
Der am vergangenen Donners¬
tag Initiativantrag aller drei
Fraktionen zur Verlängerung
der Mietpreisbindung bis 1990
bringt keinerlei Sicherheit über
die zukünftige Entwicklung der
Mietpreise im Altbau. Völlig
offen bleibt.obdie jetzigen Mie-
thohon erhalten bleiben oderob
mit drastischen „mietpreisge-
bundenen" Mieterhöhungen zu
rechnen ist. Denn die Politiker
stellten ausdrücklich fest, daß
die „Wirtschaftlichkeit des Alt-
baus“. das heißt die Profite der
Hausbesitzer, gesichert werden
mußte.
Besonders heftig kritisiert der
Berliner Mieterverein. mit20000
Mitgliedern Berlins größte Mie¬
terorganisation, daß sich die
Fraktionen nicht über klare
Aussagen zur Mietpreisbin¬
dung einigen konnten Die Vor¬
stellungen der Berliner CDU.
dem Namen nach den Begriff
Mietpreisbindung beizubehal-
ten, allerdings ab 1983 die frei¬
werdenden Wohungen aus der
Mietpreisbindung zu entlassen,
hält der Berliner Mieterverein
für Etikettenschwindel und ein
wahltaktisches Manöver. Die
Folge einer solchen Regelung
wird sein, daß bei Neuvermie¬
tungen sich die Mieten inner¬
halb kürzester Zeit verdoppeln
und verdreifachen. Die 80.000
Wohnungssuchenden, die jetzt
schon nur unter größten
Schwierigkeiten eine Wohnung
finden, werden dann von den
Vermietern voll zur Kasse gebe¬
ten. da die Miete frei vereinbar
ist. was unter der heutigen Woh¬
nungsnot nur heißen kann: frei
erpressbarl
Einkommenschwache Bevöl¬
kerung Rentner, junge Leute
und hinzuziehende Arbeitskräf¬
te werden unter diesen Bedin¬
gungen kaum noch eine Woh¬
nung g zu einer tragbaren Miete
finden. Ein Umzug kommt für
viele Mieter dann nicht mehr in
Frage.
Vermieter werden versuchen,
sollte diese Regelung Gesetz
werden, die Mieter mit allen
möglichen T ricks ausden Woh¬
nungen herauszukündigen, um
dannab lSöJdiesegewmnbrin-
gend neu zu vermieten. Bis 1983
wird sich unter diesen Umstan¬
den der Leerstand von Altbau¬
wohnungen vervielfachen, da
kein Vermieter mehr an einer
Vermietung unter der alten
Mietpreisbindung interessiert
sein dürfte. Diese Mietpreisbin¬
dung bringt keinen Schutz für
die Mieter, sondern führt zu
einer gewaltigen Kündigungs¬
welle Einfach „vergessen" ha¬
ben die drei Abgeordnetenhaus
Parteien die ungerechte Stich¬
tagsmiete aufzuheben und den
generellen Kündigungschutz
der Altbaumieter bei Umwand¬
lung in Eigentumswohnungen
zu verlängern. Stattdessen
brachte der Bausenator im Bon¬
ner Bundesrat eine klare
Schlechterstellunc der umwan-
dlungsmieterMieteralsGesetz-
entwurf ein.
Auch hier wieder große Töne
des Senats, mit denen von ein¬
deutigen Verschlechterungen
abgelenkt wird.